1. Bundesliga in Gröbenzell – Provinz gegen Profis

Die Kämpferinnen des SC Gröbenzell stehen in der Bundesliga auf verlorenem Posten. Sie wissen das – und nehmen die Situation mit geradezu fernöstlichem Gleichmut.
Eine Wahl hatten die Judo-Frauen des SC Gröbenzell eigentlich nicht. Nun standen sie hier, in ihrer Halle, und mussten in der Bundesliga kämpfen. Ob sie das nun von ganzem Herzen wollten – oder nicht. Die Erste, die auf die Matte trat, Sonja Weissensteiner, ging schon nach elf Sekunden zu Boden. Am Ende stand es 1:12 gegen den JC Leipzig, den wahrscheinlich leichtesten Gegner in diesem Jahr für die Gröbenzellerinnen. In der Vorwoche hatte das Team gegen Meister Speyer 0:14 verloren. „Wir haben uns gut geschlagen“, fand Teamchefin Christa Frey.

Frey hat nicht unrecht, wenn man die Umstände in Betracht zieht. Die Situation ist absurd. Gröbenzell ist im vergangenen Jahr als bestes Team der zweiten Liga in die Bundesliga aufgestiegen, genauer gesagt: Sie mussten aufsteigen. Eigentlich wäre die Mannschaft lieber unterklassig geblieben. Zu groß ist der Qualitätsunterschied zwischen den beiden Ligen. „Aber das hätte uns eine hohe Geldstrafe gekostet“, erklärt Frey. Der Deutsche Judo-Bund (DJB) möchte mit aller Macht die sechs Plätze in der Gruppe Süd besetzen. Nun steht Gröbenzell also als totaler Außenseiter in der Bundesliga. Ein bisschen ist es so, als würde ein Fußball-Amateurklub plötzlich gegen die Starensembles von Bayern München und Borussia Dortmund spielen. Der Verein hat weder das Geld noch den Willen, den Kader mit Spitzenkämpfern aufzurüsten. Lediglich zwei Neue kamen vor der Saison dazu. „Außerdem fehlen uns in diesem Jahr einige Athleten: Vier sind schwanger und zwei beruflich sehr gefordert“, sagt Frey. Es ist der Kampf Provinz gegen Professionalismus: In Gröbenzell kommen alle Judoka aus der Münchner Region. Im Rest der Liga sind sie Profis und Leistungssportler, treten für Geld an und wechseln bei einem besseren Angebot den Klub.

Entsprechend kündigt Frey schon jetzt an, „dass wir wieder zurück in die zweite Liga gehen werden“. Sie sagt das ganz gelassen, kein Konjunktiv, seit mehr als 20 Jahren betreut sie schon die erste Mannschaft. Sportlich kann man nicht mithalten, das erkennt Frey natürlich auch. Beim 0:14 gegen Speyer dauerte kaum ein Kampf länger als 60 Sekunden. Und zwischendrin haben sich Freys Kämpferinnen gedacht: „Wow! Ich kämpfe gegen die EM-Zweite oder die Zehnte der Weltrangliste.“ Gröbenzell war schon von 2011 bis 2013 in der Bundesliga, aber damals war die Situation eine andere. „Da hatten auch die anderen Vereine weniger Top-Athleten, ausländische Kämpfer waren fast noch gar nicht dabei.“ Das Bild der Liga hat sich verändert. Das hat auch positive Seiten. Wer beim Lokalrivalen TSV Großhadern vorbeischaut, bekommt Judo mit zahlreichen Olympia-Kandidaten zu sehen. Dort kämpft die Berlinerin Laura Vargas Koch neben der Brasilianerin Taciana de Lima – beide gehören zu den weltbesten Athleten in ihrer Gewichtsklasse. Wenn die Top-Leute fehlen, bekommt allerdings auch Großhadern Probleme, wie an diesem Wochenende bei der 2:12-Niederlage gegen Speyer. Bei Gröbenzell war lediglich die Schwergewichtlerin Zita Notter einmal im Bundeskader. Aber wie alle anderen betrachtet sie Judo heute nur noch als Hobby.

Notter verlor an diesem Tag gegen Kristin Büssow beide Kämpfe. Den ersten Punkt der Saison holte Alexandra Okroy, eine angehende Lehrerin, die, wie sie sagt, „früher auch mal ein paar internationale Turniere gekämpft“ hat. Die Zuschauer, fast alles Eltern, Geschwister oder Freunde der Athletinnen, jubeln. Okroy sagt, für sie stünden die Gemeinschaft und der Teamgeist im Vordergrund. Und wenn sie mal einen Einzelkampf gewinnen könne, sei das „schon schön“. Ob die Lage nicht frustrierend sei? „Wir hätten ja schlecht in der zweiten Liga absichtlich verlieren können“, meint Okroy, „das kam nie in Frage.“ Einen positiven Eindruck hinterlässt die 16-jährige Anneliese Trappe, die zwar zweimal verliert, gegen ihre sechs Jahre ältere Gegnerin aber jeweils gut mithält. „Sie ist eines unserer großen Talente“, sagt Frey über die Teisendorferin.

Falls Trappe sich in den nächsten Jahren für eine Judo-Karriere entscheiden sollte, wird sie wohl nicht in Gröbenzell bleiben. Großhadern bietet als Landesstützpunkt bessere Trainingsbedingungen und Aufstiegschancen. Im Juni kommt es zum Lokalderby. Anders als in Großhadern müssen die Zuschauer in Gröbenzell keinen Eintritt bezahlen. Alles wirkt handgemacht. Beim Abbauen der Matten kommt kurz Missmut unter den Kämpferinnen auf. „Haben wir nur einen Mattenwagen?“, fragt eine. Frey lacht und nickt. Dann meldet sich ein Elternteil: „Dafür haben wir noch selbstgebackenen Kuchen und Muffins.“
Von Julian Ignatowitsch, Gröbenzell

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